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Amerikaner denken größer als Deutsche: Jimdos US-Manager über kulturelle Unterschiede in der Arbeitswelt

rw-admin | 11/03/2016

France and Germany puzzles from flags, relation concept. 3D rendering

Wo liegen die größten kulturellen Unterschiede in der deutschen und amerikanischen Arbeitswelt? Unser Silicon-Valley-Korrespondent Andreas Weck hat Jimdos US-Manager Stephen Belomy danach gefragt – der meint: Vor allem im Marketing!

Das aus Hamburg stammende Internetunternehmen Jimdo operiert schon lange nicht mehr nur aus Deutschland und Europa. Die Gründer des beliebten Webseiten-Baukastens unterhalten zudem Zweigstellen in Asien und den USA. Dort kümmern sich vor allem Service-Teams um die Belange der im Ausland sitzenden Kunden. Einer von ihnen ist Stephen Belomy. Der Leiter des US-Büros führt ein zehnköpfiges Team an und arbeitet zudem eng mit den Kollegen im Hauptquartier zusammen. Er kennt sich aus mit der Mentalität seiner eigenen Landsleute, lernt aber auch mehr und mehr die Eigenschaften der Deutschen kennen. Seiner Meinung nach haben beide Kulturen ihre Vor- und Nachteile – das Beste aus beiden Sichtweisen herauszufiltern, empfindet er dabei als erstrebenswert. Belomy glaubt an den Kompromiss. Ein Gespräch über kulturelle Marotten und der Wichtigkeit persönlicher Zusammenarbeit.

t3n.de: Stephen, du arbeitest sehr eng mit einem deutschen Team zusammen. Wie groß sind die kulturellen Unterschiede im Vergleich zur amerikanischen Arbeitsweise wirklich?

Belomy: Jimdo ist die erste deutsche Firma, mit der ich je zusammengearbeitet habe. Davor hab ich mit Deutschland nur in Form einiger Reisen und der Teilnahme am Sprachunterricht in der High School zu tun gehabt. Ich erkenne grundsätzlich aber einen ganz besonderen kulturellen Unterschied, den ich hervorheben möchte: Amerikaner sind wesentlich flippiger und denken größer als Deutsche. Das zeigt sich vor allem darin, wie wir mit Marketing umgehen. In der Regel drängen wir auf ein noch größeres Bild, nutzen weniger Worte und krassere Statements. In Sachen Unternehmenskultur soll es auch einige Unterschiede geben, davon merke ich bei Jimdo grundsätzlich aber nichts.Wir brechen ein bisschen aus den bestehenden Mustern aus. Unsere Gründer haben dafür kürzlich auch einen Unternehmenspreis gewonnen. Wir bevorzugen flache Hierarchien, nutzen das Kaizan-Qualitätsmanagement und arbeiten im Kanban-Workflow. Diese Kultur ist erstaunlich und inzwischen in vielen US-Unternehmen tief verwurzelt. Ich würde also sagen, dass wir strukturell und kulturell sehr ähnlich sind.

t3n.de: Bei euch findet regelmäßig ein Mitarbeiteraustausch zwischen Hamburg und San Francisco statt. Eure Teams bekommen somit die Möglichkeit in beiden Ländern für eine gewisse Zeit zu arbeiten. Hilft das Programm, sich in die Köpfe der anderen Kollegen hineinzudenken?

Belomy: Ja, ich glaube fest daran, dass die jährlichen Hamburg-Reisen unseren zehn US-Mitarbeiter dabei helfen, sich auf die deutsche Kultur einzulassen. Zudem ist es aber auch gut, dass unsere deutschen Kollegen einen Einblick in die angesprochenen Marketing-Verhaltensweisen in den USA erhalten, sobald sie uns besuchen. Nur so kann eine kulturelle Annäherung passieren, mögliche Gräben überbrückt und der Geist für den Kompromisses geschärft werden. Wie ich unseren Teams in San Francisco und Hamburg immer zu sagen pflege: Im Endeffekt sind wir alle eine Mannschaft!

t3n.de: Wie wichtig ist es für andere Unternehmen mit einem ähnlichen Hintergrund solche Programme einzurichten?

Belomy: Der persönliche Kontakt ist ein wichtiger Baustein im Teamgebilde. Den kann man natürlich auch über Video-Chats, Telefongespräche, E-Mails oder anderen Collaboration-Tools nachahmen. Während meiner 35-jährigen Berufslaufbahn gab es aber einige Momente, in denen ich schlussendlich lieber in ein Flugzeug gestiegen bin, um jemanden Face-to-Face zu treffen. Während meines ersten Jahres bei Jimdo, bin ich alleine fünf Mal nach Hamburg geflogen, um unsere Mitarbeiter kennenzulernen und mit eigenen Augen zu sehen, wie sie arbeiten und kommunizieren.

Es ist jedoch schwierig grundsätzlich für andere Unternehmen zu sprechen. Ich weiß nicht, ob eine Firma mit unterschiedlichen kulturellen Werten und Abläufen oder aus einer anderen Branche genauso von einem etwaigen Programm profitieren würde. Zudem muss man auch die Größe und die Kapazitäten betrachten. Bei sehr großen Unternehmen ist es sicher nicht immer sinnvoll jeden Mitarbeiter reisen zu lassen. Anderseits kann sich auch nicht jedes kleine Unternehmen so ein Programm leisten. Mein Bauchgefühl sagt mir aber, dass der persönliche Kontakt immer gut ist. Und wer es einrichten kann, sollte derartige Programme unterstützen.

t3n.de: Der in Chicago lebende Autor Thomas Geoghegan schrieb in seinem Buch „Were You Born on the Wrong Continent? How the European Model Can Help You Get a Life“, dass Deutsche weniger arbeiten, dafür aber produktiver sind. Wie sind deine Erfahrungen bezüglich dieser Theorie? Stimmt das oder ist es nur ein Klischee?

Belomy: Ich kann natürlich auch hier nur aufgrund meiner Erfahrungen bei Jimdo antworten, würde das aber ganz entschieden bejahen. Ich könnte stundenlang darüber reden! Es ist Teil von Jimdos Kultur keine Workaholics zu beschäftigen – wir schreiben das auch wortwörtlich auf unserer Webseite. Das Entscheidende ist aber, dass Europäer per se einen anderen Lebensstil führen als wir Amerikaner. Es steckt in unserer DNA, dass wir immer angetrieben sind. Das ist ein gewichtiger Grund, warum unser Land so erfolgreich ist. Allerdings kann beispielsweise die gelebte und ständige Erreichbarkeit auch eine schwere Bürde sein. Amerikaner tun sich sehr schwer damit abzuschalten. Schau dir nur die ganzen Leute an, die auf der Straße herumlaufen und dabei auf ihr Handy starren. Es ist kein Zufall, dass Facebook – als reine Virtualisierung von Beziehungen und ständiger Kommunikation – eine amerikanische Erfindung ist.

t3n.de: Seit ich vor ein paar Monaten in San Francisco angekommen bin, ist mir aufgefallen, dass es für viele Angestellte nichts Ungewöhnliches ist auch am Wochenende oder im Urlaub zu arbeiten. Woher kommt diese Flexibilität und hohe Motivation? Ist es Loyalität, Ehrgeiz, Geld oder eine normale Reaktion auf die „Hire-and-Fire“-Mentalität in den USA?

„Es steckt in unserer DNA, dass wir immer angetrieben sind.“

Belomy: Ich denke nicht, dass es um Loyalität oder Angst vor dem Jobverlust geht, die zu der von dir beobachteten Bereitschaft führt. Eher würde ich noch sagen, dass es um Ehrgeiz oder Geld geht, aber auch die Argumente treffen den Kern nicht zu hundert Prozent. Ich glaube es liegt einfach daran, wie wir erzogen wurden. In den USA ist es ganz normal so zu sein. Auch das ist auf unseren Lebenstil zurückzuführen. Ein Beispiel: Ich habe sechs Monate gebraucht, um meine Frau dazu zu überreden im kommenden Jahr einen ganzen Monat frei zu nehmen, um mit mir eine Reise nach Europa zu machen. Der Gedanke an so viel Freizeit war für sie völlig ungewohnt. Die nächsten sechs Monate muss ich sie nun davon überzeugen, ihre Mails nicht zu checken. Ich bin gespannt, ob mir das gelingt.

t3n.de: Eine der größten Herausforderungen für viele Unternehmen und Teams liegt in der großen Zeitverschiebung zwischen den USA und Deutschland. Wie regelt ihr das?

Belomy: E-Mail und Collaboration-Tools sind praktisch. Aber wie bereits erwähnt, möchte man sich manchmal auch einfach zusammensetzen – die beste Alltagslösung ist da ein Video-Anruf. Wir nutzen dafür Google Hangouts. Aber auch Skype, Facetime oder GoToMeeting sind gute Alternativen. San Francisco liegt neun Stunden hinter Hamburg. Unser Arbeitstag beginnt also wenn euer zu Ende geht. Ich persönlich biete meinen Kollegen in Hamburg an, dass wir unsere Video-Telefonate um 6 oder 7 Uhr morgens machen. Da ist es in Hamburg erst 15 oder 16 Uhr und die deutschen Kollegen sind noch frisch dabei. Oft einigen wir uns dann auf 7 oder 8 Uhr mitteleuropäischer Zeit, was ein schöner Kompromiss ist. Sollte es doch mal früher werden, warne ich sie immer vor, dass sie mich möglicherweise mit strubbeligem Haar und im Pyjama erwischen. Passiert aber eher selten.

t3n.de: Letzte Frage: Erzähl doch mal, was deiner Meinung nach das Wichtigste ist, das Amerikaner von den Deutschen lernen können – und andersherum.

Belomy: Ich denke, dass Amerikaner von Deutschen mehr Bescheidenheit lernen können. Deutsche hingegen können von Amerikanern aber auch lernen, mehr Stolz für die eigene Arbeit zu zeigen. Sprich, eine breitere Brust zu haben. Das sind zwar praktisch Gegensätze, aber ich glaube, dass es auch da einen Kompromiss gibt, der als goldener Mittelweg bezeichnet werden kann.

t3n im Silicon Valley

Andreas Weck hat 2014 für t3n aus San Francisco und dem Silicon Valley über neue Trends, spannende Tools und interessante Orte des Tech-Epizentrums berichtet. Sein Eindruck: Im Valley gibt es viele schlaue Köpfe und genauso viele bekloppte Geschäftsideen.