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Das Land des unbezahlten Urlaubs

rw-admin | 06/09/2014

Der Sommer steht vor der Tür und im Einklang mit diesem machen meist viele Mitarbeiter Gebrauch von ihren Urlaubstagen. Besonders die Deutschen können meist auf ein großzügiges Konto an bezahltem Urlaub zurückgreifen. Amerikanische Mitarbeiter jedoch verfügen oft gar nicht über einen solchen Urlaubsanspruch.

Das Land des unbezahlten Urlaubs

von Silke Hasselmann

Die USA sind die einzige Industrienation der Welt ohne landesweit gültigen Urlaubsanspruch: 25 Prozent der arbeitenden US-Bürger erhalten keinen einzigen bezahlten Tag frei. Und auch mit der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sieht es düster aus.

Weil er mitten an einem Werktag im Besucherzentrum von Luray am Fuße des Shenandoah National Parks um eine Modelleisenbahn schlenderte und weil er die für die USA typische Freizeitkluft trug – Turnschuhe, knielange Hosen, Basecap – musste er ein Urlauber sein. Tatsächlich stellte sich heraus, dass Bill Wess aus Oregon an der Westküste zwei Wochen freigenommen hatte, um Virginia, Maryland und die mittendrin liegende Hauptstadt Washington DC zu bereisen. Und ja: Das sei bezahlter Urlaub!

Damit gehört er zu jenen zirka 75 Prozent der US-Amerikaner, denen die Arbeitgeber bezahlte Urlaubstage zusichern. „Die Unternehmen können selbst bestimmen, ob und wie viel Urlaub sie gewähren“, sagt Bill, ein IT-Ingenieur. Wer gute Leute sucht, wird neben einem anständigen Gehalt und einer komfortablen Krankenversicherung auch mit bezahltem Urlaub locken. „Mein Unternehmen fängt bei zwei Wochen pro Jahr an. Ich habe mich aber schon auf vier Wochen hochgearbeitet“, so Bill.

Im Einzelhandel überhaupt keinen Urlaub
Vier Wochen sind 20 Werktage – da fangen Vollzeitbeschäftigte in Deutschland gerade mal an, und auch Teilzeitkräfte haben Mindestansprüche. Ein Bundesgesetz sorgt dafür. Dagegen sind die USA die einzige Industrienation der Welt ohne einen landesweit gültigen Mindestanspruch. Das hat auch John Schmitt vom Washingtoner „Center for Economic and Policy Studies“ in seiner Studie über die Urlaubsrealität von Australien bis Japan erwähnt. Er sagt: „Wir machen Urlaub, aber der Durchschnittsamerikaner bekommt viel weniger Urlaub als das, was in den anderen Ländern mindestens gefordert wird.“

Und so geben manche Firmen nur zehn Werktage frei, was den Durchschnitt drückt. Doch noch mehr schlagen jene 25 Prozent der arbeitenden Amerikaner zu Buche, die keinen einzigen bezahlten Urlaubstag bekommen. Betroffen sind vor allem Teilzeitkräfte und Geringverdiener. Es werde „von Unternehmen zu Unternehmen verschieden gehandhabt“, sagt Bill Wess. „Aber vor allem im Einzelhandel haben die Leute überhaupt keinen Urlaub.“

Sie dürfen zwar freinehmen, doch an jenen Tagen würden sie nichts verdienen. Gesetzliche Feiertage helfen übrigens nicht: Auch da sind die USA die einzige Industrienation, wo der Gehaltsfluss stoppen darf, wenn der Feiertag ein freier Tag ist.

Je länger dabei, desto mehr Urlaub
Immerhin: Alle rund 23 Millionen Angestellten im öffentlichen Dienst von Kommunen, Staaten und Bundesregierung haben Urlaubsansprüche. Zudem bestimmte der US-Kongress mit dem sogenannten Davis-Bacon-Gesetz, dass die Bundesbehörde in Washington nur solchen Privatunternehmen Aufträge geben darf, die ihren Angestellten mindestens 15 bezahlte Urlaubstage pro Jahr garantieren.

Ansonsten gilt, zumindest bei den Staatsdienern: Je länger – bei Vollzeit – dabei, desto mehr Urlaub. So stehen einem 52-Jährigen, der bei der Bundesumweltbehörde EPA einen mittleren Managementposten bekleidet, bereits 40 Werktage pro Jahr als „paid vacation“ zu.

Verzicht auf Urlaub aus Angst um Job
Die nimmt er auch. Doch fast die Hälfte der US-Amerikaner verzichtet auf einen Teil ihres Urlaubs. John Schmitt erklärt es sich mit der „viel größeren Jobunsicherheit als im Rest der Welt.“ Fest steht: Viele lassen sich aus Angst vor Ansehens- oder Jobverlust lieber Extra-Geld auszahlen. Andere sparen sich ihren Urlaub vorsorglich auf, denn auch mit der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sieht es in den USA schlecht aus. Sogar die besonders großzügig abgesicherten Bundesbeamten „dürfen“ höchstens fünf Tage im Jahr krank werden und bezahlten „sick leave“, also bezahlte Krankentage, nehmen. Danach hat man besser eine gute Versicherung, genügend Geldrücklagen – oder eben noch ein paar unverbrauchte Urlaubstage.