Die Rolle der Gewerkschaften in den USA
rw-admin | 11/25/2013
Viele deutsche Unternehmen stehen vor der Entscheidung, einen Standort für ihre US-Niederlassung auszuwählen, bevor sie den amerikanischen Markt betreten. Zahlreiche Faktoren spielen hierbei eine Rolle. In den USA hat insbesondere der Standort und dessen Bundesstaat Einfluss auf die Rolle von Gewerkschaften und deren Bedeutung für die Unternehmenspolitik.
Seit Jahren „bluten die Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten aus“ – sie leiden unter Mitgliederschwund. Ihre Bedeutung ist im Vergleich zu Deutschland weitaus geringer und nimmt weiter ab. Dieser Newsletter greift einen Artikel auf, der die wichtigsten Unterschiede im System der Gewerkschaften thematisiert und deren Auswirkungen auf die Unternehmenspolitik deutscher Firmen verdeutlicht. Mittlerweile gehört auch der Bundesstaat Michigan (MI) zu einem „right-to-work“ Staat, durch eine politische Entscheidung des derzeitigen Gouverneurs.
US-Arbeiter wollen von Gewerkschaften nichts wissen
von Katja Ridderbusch
Allein: Die Belegschaften in den Fabriken des Südens sind, anders als in den Industriehochburgen des Nordens, in Michigan, Ohio oder Illinois, meist nicht gewerkschaftlich organisiert.
Die Gründe liegen in der Geschichte – und im Geschäft. „Die Südstaaten werben mit Lockangeboten um Firmen“, sagt Michael Fichter, deutsch-amerikanischer Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. „Sie bieten angenehme klimatische Bedingungen, erschwingliches Bauland, gute Infrastruktur, Steuervorteile und vor allem: keine Gewerkschaften und damit billigere Arbeitskräfte.“
Die Abwesenheit von Gewerkschaften ist im Süden zum wichtigen Marketing-Instrument geworden. Mit den „Right-to-work“-Gesetzen, die in 22 US-Bundesstaaten, darunter fast allen Südstaaten, in Kraft sind, wird die Macht der Gewerkschaften ausgehebelt: Danach darf der Angestellte eines Unternehmens auch dann nicht zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft verpflichtet werden, wenn der Tarifvertrag von der Gewerkschaft ausgehandelt wurde.
Im Süden lebe heute „eine ganze Branche, vor allem Anwälte, davon, Kampagnen gegen Gewerkschaften zu fahren“, sagt Politikwissenschaftler Fichter. Kampagnen, die auf fruchtbaren historischen Boden fallen, denn das Misstrauen gegenüber Gewerkschaften hat hier Tradition. „Die Geschichte der Industrialisierung des Südens ist eine ganz andere als die des Nordens“, betont Fichter. In den Industriemetropolen des Nordens waren die Gewerkschaften zunächst vor allem Schutzgemeinschaften für Einwanderer, fungierten als Lohnkartelle und versuchten, die teilweise unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Fabriken zu verbessern. Sie hatten jedoch, anders als in Europa, kaum klassenkämpferische Ziele. Der Süden hingegen war bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts hinein eine Agrarregion. Die vereinzelte industrielle Produktion fand in kleineren Städten statt. In den 60er-Jahren änderte sich das Bild; die Verbreitung der Klimaanlage machte industrielle Arbeit in der feuchten Hitze erträglich. In den 70er- und 80er-Jahren wanderten immer mehr Unternehmen aus dem Norden in den Süden ab – und zwar „als anti-gewerkschaftliche Bewegung mit dem Ziel, mit billigeren Arbeitskräften zu produzieren“, sagt Fichter. Das hat sich zwar bis heute nicht grundlegend geändert. So verdient ein erfahrener Mechaniker bei den US-Autobauern Ford, Chrysler und General Motors – allesamt gewerkschaftliche Hochburgen – knapp 30 Dollar pro Stunde. VW will seinen Arbeitern in Tennessee nach drei Jahren knapp 20 Dollar zahlen. Allerdings hat die Rezession dazu geführt, dass der Abstand bei den Einstiegslöhnen geschrumpft ist: So hat die UAW vor kurzem einem Einstiegslohn von 15 Dollar in einigen Fabriken von GM zugestimmt, fünf bis zehn Dollar weniger als vor der Krise. Volkswagen zahlt 14,50 Dollar.
Außerdem findet sich die einst so mächtige Autogewerkschaft seit der Rezession in einer Zwitterrolle: Halb Aktionär, halb Arbeiter-Advokat halten die United Auto Workers über Pensionsfonds 13 Prozent der Aktien von General Motors und 65 Prozent Anteile beim US-Autobauer Chrysler. Vor diesem Hintergrund sehe er „bei der UAW durchaus ein Umdenken“, sagt Politikwissenschaftler Fichter, „die Bereitschaft, den Unternehmen eine neue Form der Partnerschaft anzubieten“. So soll es jetzt bei den Autobauern im Süden geschehen. „Wir müssen die ausländischen Autobauer davon überzeugen, dass wir nicht das Reich des Bösen sind“, sagte UAW-Boss Bob King. Soll heißen: Dass Gewerkschaften nicht dem Wettbewerb schaden. Argumente, die kaum auf fruchtbaren Boden fallen dürften, vermutet Historiker Black. Denn tatsächlich sind sich im Süden nicht nur Bundesstaaten und Unternehmen, sondern auch die Belegschaften einig: Gewerkschaften, nein danke! Schließlich, sagt Black, sei der Süden noch immer eine der ärmeren Regionen in den USA. Die Jobs bei den ausländischen Autobauern sind besser bezahlt als viele andere, und die Sozialleistungen liegen oft weit über dem amerikanischen Standard. So bietet VW seinen Angestellten eine umfassende Krankenversicherung, einen Rentenplan, ferner gibt es auf dem Firmengelände einen Kindergarten, ein Fitnesscenter, und die Kantine kocht vollwertig und organisch. Da können Gewerkschaften nur noch wenig bieten. „Es gab ja in der Vergangenheit immer wieder Abstimmungen bei den Autofirmen im Süden“, sagt Black. Und da hätten sich die Arbeiter stets gegen Gewerkschaften entschieden.