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Unternehmenskultur: Rauf oder raus

rw-admin | 07/13/2016

American_and_German_flagsDer Druck für Berufseinsteiger wächst: Sie müssen innerhalb kürzerer Zeit Erfolge vorweisen als früher. Was Gewerkschafter als verhängnisvollen Import von US-Management-Methoden brandmarken, kommt vielen jungen Arbeitnehmern zupass.

Constantin Gonzalez ist zufrieden mit seinem Arbeitgeber, dem Deutschland-Ableger eines amerikanischen IT-Unternehmens in München. „Bei uns läuft alles völlig unkompliziert ab, die Entscheidungswege sind kurz, die Hierarchien flach, und jeder ist mit jedem per du“, erzählt der 33-jährige Informatiker. In der Firma gehe es fast so familiär zu wie zu Hause. Vor fünf Jahren hat sich Gonzalez bewusst für ein amerikanisches Unternehmen entschieden: „Der Führungsstil ist sehr zielorientiert“, nennt er als wesentlichen Grund.

In Absprache mit den Vorgesetzten werde bei seinem Arbeitgeber ein Ziel definiert, das in einer bestimmten Zeit erreicht werden soll, umschreibt Gonzalez die Unternehmenskultur. In vielen deutschen Firmen würden dagegen die Aufträge als Befehle erteilt, die von den Mitarbeiter nach und nach erledigt werden. Als Beispiel nennt Gonzalez einen großen deutschen Elektronikkonzern, für den er während des Studiums arbeitete. Die Zusammenarbeit dort sei ihm sehr bürokratisch vorgekommen, blickt der Informatiker zurück.

Management nach Herdentrieb.

Doch die Unternehmenskultur verändere sich inzwischen auch in Großunternehmen rasant, meint Dieter Scheitor, Teamleiter IT-Industrie im IG-Metall-Vorstand in Frankfurt am Main. „Management neigt immer dazu, sich herdentriebartig zu verhalten“, so Scheitor. Derzeit liege es voll im Trend, amerikanische Managementmodelle in deutschen Firmen einzuführen – nach Scheitors Meinung sind sie vor allem geprägt vom kurzfristigen Quartalsdenken. „Durch den Druck des Kapitalmarktes sind langfristige Planungen schwieriger geworden.“ Dadurch sei auch die Personalführung rauer geworden.

Absolventen müssen sich darauf einstellen, dass Einarbeitungs- und Schonzeiten wesentlich kürzer werden und verhältnismäßig rasch hohe Leistung gefordert wird, so charakterisiert Scheitor den Wechsel in der Unternehmenskultur. Bei Management nach US-Vorbild nehme auch das individuelle Risiko zu, gekündigt zu werden. „Hire and fire kann auch bald bei uns zur Realität werden“, unkt der Gewerkschafter. Noch schiebe dem aber der Kündigungsschutz einen Riegel vor.

„Innerhalb der Probezeit wird in einem amerikanischen Unternehmen schneller gekündigt als in einem deutschen“, behauptet Marco Scheurer, bei Hewlett Packard in Böblingen zuständig für die Rekrutierung. Allerdings würden für das Unternehmen teure Fehlbesetzungen durch aufwändige Auswahlverfahren weitgehend vermieden. Dafür erwarte sein Arbeitgeber gleich sehr viel vom neuen Mitarbeiter.

„Jemand, der sich in einer soliden Hierarchie wohlfühlt, wird es bei uns schwer haben“, schränkt Scheurer ein. So werde regelmäßig in wechselnden Teams gearbeitet: „Da muss man sich immer wieder auf neue Situationen und Leute einstellen können“, beschreibt er seinen Arbeitsalltag. Scheurer ist nach eigenem Bekunden auch nach fünf Jahren Firmenzugehörigkeit über die „Flut an Informationen, die man jeden Tag bekommt“, erstaunt. In deutschen Unternehmen wird seiner Meinung nach nur kommuniziert, wenn eine Entscheidung gefallen sei oder eine Information die eigene Person betreffe. „Alles andere bekommt man sowieso nicht mit“, gibt sich der Personalmanager von der Überlegenheit des amerikanischen Modells überzeugt.

„Wenn alle Türen offen sind und alle einem gleich das du anbieten, wirkt das auf neue Mitarbeiter zunächst positiv“, meint Dirk Lambert, Personalberater bei Hitec Consult in Bad Nauheim mit Kunden auf amerikanischer und deutscher Seite. Worauf sich der Neuling aber einstellen müsse, sei, dass er andererseits sehr schnell in die Verantwortung genommen wird. Das könne je nach Person positiv oder negativ wirken, so der Personalberater. Er schicke nicht jeden zu vermittelnden Bewerber zu einem amerikanischen Unternehmen, so Lambert, aber auch nicht jeden zu einem deutschen.

Bei einem deutschen Unternehmen dauere die Einführung in das tägliche Geschäftsleben und die Übernahme von Verantwortung länger, generalisiert Lambert. „Die Verantwortung trägt man in amerikanisch geführten Firmen auch fernab der Prokura für den Teil, für den man zuständig ist“, gibt er zu bedenken. Wer schnell auf der Karriereleiter hochsteigen will, habe in einem Unternehmen mit amerikanischem Managementmethoden die besten Chancen – mit dem höheren Risiko einer vorzeitigen Kündigung.

Written By: Von Peter Ilg