VW exportiert seine Ausbildung nach Amerika
rw-admin | 03/21/2014
In den USA ist es nicht, wie in Deutschland üblich, nach der Highschool eine Berufsausbildung antreten zu können. In der Tat gibt es in Amerika nur eine Handvoll Unternehmen, die Ausbildungsprogramme, die der deutschen Berufsausbildung ähneln, anbieten. Besonders North Carolina ist eine Gegend in den USA, die einen verstärkten Zuwachs an deutschen Firmen und Mitarbeitern verzeichnet. 850 internationale Unternehmen und mehr als 194 deutsche Firmen haben sich bereits aufgrund der hervorragenden Geschäftsbedingungen in den Carolinas niedergelassen und suchen seither oft händeringend nach qualifizierten Mitarbeitern. Besonders Ingenieure und technik-affine Arbeiter sind verstärkt gefragt. Volkswagen (VW) ist eines dieser Unternehmen in den USA, das es sich als Ziel gesetzt hat, seine amerikanischen Mitarbeiter im eigenen Hause in Tennessee ausbilden zu lassen und dort gezielt für die deutsch-amerikanische Berufswelt vorzubereiten.
VW exportiert seine Ausbildung nach Amerika
von Katja Ridderbusch
Drei Jahre Lehre und ein Zertifikat des DIHK: Mit dem deutschen Ausbildungsmodell kämpft Volkswagen in den USA gegen den Fachkräftemangel. Doch die Idee hat einen großen Haken.
Leidenschaft fürs Detail: Das Motto, das der deutsche Autobauer Volkswagen für sein Werk in Chattanooga im Bundesstaat Tennessee gewählt hat und das auf großen Bannern in den Fertigungshallen hängt, kann manchmal ziemlich anstrengend sein, findet Jonathan Exum. Zum Beispiel beim Schleifkurs. „Wir haben drei Wochen lang an einem einzigen Stück Stahl gearbeitet“, sagt er und lacht. „Da hast du gerade einen Huckel flach geschliffen, aber dadurch ist ein anderer Huckel entstanden. Dann musst du den flach schleifen und danach den nächsten.“
Exum, 35, ist im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker und damit ein Pionier in Amerika. Denn das duale Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild gewinnt in den USA langsam, aber stetig an Fahrt – vor allem durch die Nachfrage deutscher Unternehmen.
In den BRIC-Staaten, der Türkei, Mexiko, Thailand und Südeuropa ist das duale System längst zum Exportschlager geworden. Vor allem in Spanien und Portugal, wo die Jugendarbeitslosigkeit zeitweise bei 50 Prozent lag, konnte das deutsche Lehrlingstraining einen möglichen Weg aus der Krise weisen: In Portugal führt die Auslandshandelskammer (AHK) seit 30 Jahren mit lokalen Unternehmen duale Ausbildungsgänge durch.
„90 Prozent der Absolventen finden sofort einen Job“, sagt Steffen G. Bayer, Leiter des Referats Berufsbildungsexport beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin.
In den USA steckt die Verbreitung der deutschen Berufsbildungsstrukturen noch in der Anfangsphase, „aber die Dynamik ist enorm“, sagt Bayer. Etwa 100 Unternehmen, vorwiegend deutsche Tochterfirmen, bilden in den USA nach dem dualen System aus. Vor allem in den Südstaaten ist die Nachfrage groß.
Vorreiter VW
Dabei ist Volkswagen das erste und bislang einzige Unternehmen, das die deutsche Ausbildung direkt in seinem Werk abbildet: drei Jahre Lehrzeit in Kooperation mit dem Chattanooga State College – und zum Abschluss eine Prüfung mit offiziellem Zertifikat des DIHK. „Damit können unsere Mitarbeiter in Deutschland und bei deutschen Firmen in aller Welt arbeiten“, sagt Sebastian Patta, Personalleiter bei VW in Chattanooga.
Andere deutsche Unternehmen in den USA, darunter Bosch,Siemens, BMW, Mercedes und der Kettensägenhersteller Stihl, haben zahlreiche Elemente des dualen Systems in ihr Training integriert.
In North Carolina arbeiten Unternehmen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Amerika im „Apprenticeship 2000“-Programm zusammen und haben mit lokalen Colleges einheitliche Curricula entwickelt. Ein ähnliches Programm, genannt MAT2, startete jüngst in Michigan.
Die Verbreitung des dualen Systems in den USA ist in erster Linie dem Eigeninteresse deutscher Unternehmen geschuldet. Die hatten Mühe, in Amerika gut qualifizierte Arbeiter für ihre Fertigung zu finden. „Deshalb haben sie entschieden, ihre Mitarbeiter selbst auszubilden – und zwar nach der Methode, die sich in Deutschland bewährt hat“, sagt Bayer. „Die Industrie- und Handelskammern (IHKs) in Deutschland und die AHKs unterstützen sie dabei.“
In den USA herrscht seit Jahren Fachkräftemangel. Obwohl die Arbeitslosigkeit 2013 bei durchschnittlich 7,3 Prozent lag, bleiben 600.000 Stellen unbesetzt. Präsident Barack Obama hat das deutsche Ausbildungsmodell, den Wechsel zwischen Werkbank und Schulbank, mehrfach als Vorbild genannt. Grund genug für die deutsche Botschaft in Washington, eine Marketingkampagne für das duale System in den USA zu starten, genannt „Skills Initiative“.
54.000 Euro pro Azubi
Roman Kapuscinski, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Michigan in Ann Arbor, bremst jedoch die Euphorie. Von wenigen Industrieexperten abgesehen sei das duale Ausbildungssystem in den USA kaum bekannt, sagt der Ökonom, der aus Polen stammt und seit 20 Jahren in Amerika lebt.
„Außerdem dürfte es schwierig sein, das deutsche System direkt auf die USA zu übertragen, weil die Kultur, auch die Wirtschaftskultur, der beiden Länder doch sehr verschieden ist.“
Da ist vor allem das Thema Loyalität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. „75 Prozent der 18-25-jährigen Amerikaner wechseln nach weniger als einem Jahr den Job“, sagt Kapuscinski. Eine Investition in eine dreijährige Ausbildung – in Deutschland sind das rund 54.000 Euro für einen einzelnen Azubi – würde sich in Amerika schlichtweg nicht lohnen.
So ist die größte Sorge deutscher Tochterfirmen in den USA auch die Abwerbung ihrer Facharbeiter. Volkswagen versucht, seine Angestellten nach der Ausbildung mit überdurchschnittlichen Einstiegslöhnen von 22 Dollar pro Stunde, mit attraktiven Leasingangeboten sowie mit der Chance zu halten, ein Jahr lang in einem VW-Werk irgendwo auf der Welt zu arbeiten.
Andere interkulturelle Hürden sind Kapuscinski zufolge die für Amerika lange Lehrzeit von drei Jahren, die hohe Spezialisierung und die Kosten für das Unternehmen. In den USA ist die Ausbildung breiter angelegt. Vor allem handwerkliche Berufe werden innerhalb weniger Wochen erlernt, und der Student zahlt selbst, es sei denn, er bekommt ein Stipendium.
Doppeltes Imageproblem
Schließlich gebe es gleich ein doppeltes Imageproblem, sagt Kapuscinski. In den USA, wo Fertigung nur noch 13 Prozent des BIP ausmacht, gelte Fabrikarbeit wider die moderne Realität als „schmutzige“ Arbeit – und daher wenig erstrebenswert.
Außerdem dürfte die Rolle des Staates im dualen Ausbildungssystem für amerikanische Unternehmen eher abschreckend wirken, statt Vertrauen zu stiften. „Staatliche Programme in den USA sind nicht stabil. Und meistens auch nicht von Dauer.“
Nicht nur für die Unternehmen schmeckt das duale System bisweilen wie bittere Medizin. Viele amerikanische Azubis sind älter als ihre deutschen Kollegen. Einige haben bereits Familie mit Kindern und müssen neben der Ausbildung oft einen zweiten Job annehmen, um über die Runden zu kommen. „In unserem ersten Jahrgang haben acht von 20 Azubis das Training abgebrochen“, sagt VW-Personaler Patta.
Jonathan Exum ist vor kurzem Vater geworden. Seine Frau ist Krankenschwester auf der Intensivstation und derzeit die Hauptverdienerin der Familie. Ans Aufgeben denkt er nicht. Er hatte schon mehrere Jobs, hat Fische und Poster verkauft und in Restaurants gearbeitet.
Pragmatische Lösung
„Aber hier bei Volkswagen will ich bleiben, bis zur Rente.“ Damit ist Exum eher die Ausnahme als die Regel. 2012 hatte VW 60 Bewerbungen auf 24 Lehrstellen. „Unser Ziel sind 1000 Bewerbungen pro Jahr“, sagt Patta.
Auch wenn Wirtschaftsprofessor Kapuscinski einen Sturmlauf auf duale Ausbildungsprogramme in den USA für unwahrscheinlich hält, ist er dennoch überzeugt: „Einige Kernelemente des dualen Systems können in den USA sehr wohl funktionieren, aber eben nur, wenn man den Anspruch nach unten schraubt.“
Soll heißen: eine engere Kooperation zwischen Colleges und Unternehmen, die sicherstellt, „dass die Mitarbeiter nach den Bedürfnissen des Marktes ausgebildet werden.“ Die Ausbildung selbst müsse in den USA jedoch viel kürzer sein, „vier Monate, sechs Monate, maximal ein Jahr“. Das schaffe „zwar nicht die perfekten Arbeitskräfte, aber es bietet schnelle und flexible Erleichterung für den Arbeitsmarkt.“ Eine pragmatische Lösung eben – und damit eine sehr amerikanische.