Wann wird ein Streit zum Handelskrieg?
rw-admin | 07/05/2018
In den vergangenen vier Monaten waren die Medien voller Meldungen über einen drohenden Handelskrieg zwischen den USA, China und der EU. Einige glauben sogar, der Handelskrieg habe bereits begonnen, schließlich gab es Zölle und Gegenzölle in Milliardenhöhe, und so manchen Drohung, dass noch viel mehr folgen könnte.
Das Gefühl des Untergangs ist greifbar. Und doch gab es keine formelle Handelskriegserklärung und kein bestimmtes Datum für den Beginn der eigentlichen Schlacht. Es gab nicht einmal einen Countdown-Timer.
Jenseits aller humoristischen Betrachtung bleiben ernste Fragen: Was genau macht einen Handelskrieg aus? Und wie weiß man, wann er begonnen hat?
Breite Definition
Laut Wörterbuch ist ein Handelskrieg dadurch gekennzeichnet, dass Länder beim Handel versuchen, sich Vorteile zu verschaffen und anderen zu schaden, indem sie Zölle oder Quotenbeschränkungen einführen.
Das passt. Mit seinen Zöllen auf Aluminium- und Stahl-Importe hat US-Präsident Donald Trump bei der EU Gegenmaßnahmen im Wert von 2,8 Milliarden Euro ausgelöst. Und die US-Zölle gegen China brachten Peking dazu, ebenfalls Waren in Höhe von umgerechnet 43 Milliarden Euro mit Zöllen zu belegen.
Damit wäre der Handelskrieg – zumindest nach der Wörterbuchdefinition – bereits im Gange.
Glücklicherweise sehen die meisten Ökonomen die Dinge etwas anders. Sie sprechen zunächst von einem Handelsstreit. Erst nach mehreren Eskalationsstufen von Zöllen und Gegenmaßnahmen würde daraus dann ein Handelskrieg.
„Die USA sind noch weit von einem Handelskrieg mit China entfernt“, sagt Heiner Flassbeck, Wirtschaftswissenschaftler und früher Chef-Volkswirt bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD).
Um von einem Handelskrieg zu sprechen, wäre „eine nicht enden wollende Reihe von Zollerhebungen“ nötig, so Flassbeck zur DW. Dabei würden sich die Beziehungen der Länder so sehr verschlechtern, dass die Kontrahenten nicht einmal mehr miteinander verhandeln.
Andere Ökonomen versuchen, den Begriff Handelskrieg ganz zu vermeiden.
„Mich interessiert eher, ob das Handelssystem nach allgemein anerkannten Regeln funktioniert oder ob Handel und Investitionen durch Machtpolitik geprägt sind“, sagt Stephen Woolcock, der den Bereich Internationale Handelspolitik an der London School of Economics leitet,
Natürlich gehe es in Handelsbeziehungen immer auch um Macht, so Woolcock zur DW. Doch Trump sei bereit, die Macht der USA zu nutzen, um bestehende Abkommen neu zu verhandeln und seit Jahrzehnten bestehende Vereinbarungen über den Haufen zu werfen.
„Wenn jemand seine Macht einsetzt, um das Gleichgewicht wirtschaftlichen Nutzens zu verändern, ist das gefährlich für die regelbasierte Ordnung“, sagt er. Regeln, wie sie etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbart wurden.
Keine Definition bei der WTO
Die WTO teilt auf Anfrage der DW mit, sie habe keine eigene Definition eines Handelskriegs. Wie schon das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossen wurde, versucht die WTO, durch einheitliche Regeln dazu beizutragen, dass aus einem Handelsstreit kein Protektionismus wird oder – auch das ist schon vorgekommen – ein bewaffneter Konflikt.
Angesicht der Debatte um Zölle und Gegenzölle warnte WTO-Generaldirektor Roberto Azevedo kürzlich vor Risiken für das globale Handelssystem.
„Wenn etwa die Zölle wieder auf das Niveau steigen würden, das sie vor Schaffung des multilateralen Handelssystems hatten, dann würde der globale Handel um 60 Prozent einbrechen und die Weltwirtschaft um 2,4 Prozent schrumpfen“, so Azevedo.
Der Einbruch wäre größer als nach der Finanzkrise 2007/08, würde den Lebensstandard deutlich absenken und fast die gesamte Weltbevölkerung betreffen, so der WTO-Chef.
Lehren aus der Geschichte
Um zu merken, wie schädlich höhere Zölle sein können, müsste Trump nur einen Blick in die jüngste US-Geschichte werfen. 1930, ein Jahr nach dem Crash an der Wall Street, verabschiedete der Kongress das sogenannte Smoot-Hawley-Zollgesetz.
Das Gesetz erhöhte die Zölle auf US-Importe auf Rekordniveau, zwang die Europäer zu Gegenmaßnahmen, ließ den weltweiten Handel einbrechen und verstärkte so die Weltwirtschaftskrise.
Trumps Drohungen sind seit Beginn des Zollstreits lauter geworden. Inzwischen hat er chinesische Tech-Investoren in den USA im Visier und will europäische Wagen durch Zölle von 20 Prozent verteuern, was vor allem die deutschen Autobauer nervös macht.
Peking, Berlin und Brüssel haben angekündigt, ihre wichtigen Industrien zu schützen – ein Szenario nicht enden wollender gegenseitiger Zollerhebungen ist daher gar nicht mehr so unwahrscheinlich.
Trumps Kritiker werfen dem Präsidenten vor, das regelbasierte multilaterale Handelssystem zu ignorieren. Dagegen glaubt Hans-Michael Wolffgang, Rechtswissenschaftler in der Universität Münster, dass sich Washington durchaus an die Richtlinien der WTO hält.
„Artikel 21 des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens der WTO erlaubt die Erhebung von Einfuhrzöllen aus Gründen der nationalen Sicherheit“, so Wolffgang zur DW. „Und das ist genau das Argument, das die USA anführen.“
Die Frage ist nur, ob es Trump wirklich um den Schutz sicherheitsrelevanter US-Industrien geht. Viele Beobachter glauben, er sehe die Zölle vielmehr als Mittel, den wichtigsten Handelspartnern der USA Zugeständnisse abzuringen.
Geschwächte WTO
Außerdem versuche Trump, die Autorität der WTO zu untergraben, indem er die Berufung neuer Richter an das Schiedsgericht der Organisation durch ein Veto verhindert hat.
Die Funktion der WTO als Streitschlichter in Handelsfragen sei dadurch in Gefahr, räumt Wolffgang ein. „Ich kann nur hoffen, dass die USA noch erkennen, dass das die falsche Richtung ist – und rechtzeitig umsteuern.“
Ökonomen sagen oft, dass Phasen großer Umbrüche, einschließlich möglicher Handelskriege, erst rückblickend richtig eingeschätzt werden können – dann also, wenn es bereits zu spät ist.
„Niemand weiß genau, welche Auswirkungen die Zölle haben werden, auch nicht für die USA“, sagt Heiner Flassbeck, der inzwischen als Wirtschaftsprofessor an der Universität Hamburg arbeitet.
„Heute sind die Handelsströme eng miteinander verflochten“, sagt er, viel enger als in den 1930er Jahren. Ein Handelskrieg sei weder im Interesse Washingtons, noch Pekings, noch Brüssels – obwohl alle drei derzeit auf dem besten Weg dahin sind.
- Nik Martin; Deutsche Welle; deutschewelle.com