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“Zero Tolerance” verändert deutsche Firmenkultur

rw-admin | 05/04/2016

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Keine Toleranz bei Korruption: Wenn deutsche Unternehmen in den USA Geschäfte machen wollen, sollten sie sich davor hüten, Schmiergeld zu bezahlen. Denn das kann richtig nach hinten losgehen.

Wenn Niels Hartwig in New York bei der amerikanischen Börsenaufsicht SEC einen Termin hatte, begann der Besuch des Siemens-Juristen mit einem Abstecher zu einem nahe gelegenen Kiosk. Dort kaufte er eine Flasche Wasser, die er dann durch die Sicherheitsschleuse ins Gebäude brachte. Denn Hartwig wusste: Bei der Sitzung würde ihm nichts zu Trinken angeboten, selbst wenn sich die Sitzung über Stunden hinziehen mochte.

Die Geschichte mit dem Wasser steht sinnbildlich dafür, wie die SEC in den vergangenen Jahren mit deutschen Unternehmen umgegangen ist. Ihnen wurde nichts geschenkt. Sie hat sich Respekt bei den deutschen Managern verschafft.

Die Münchner waren wegen schwarzer Kassen ins Visier des US-Justizministeriums und der Börsenaufsicht geraten. Es ging um die Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act, eines Bundesgesetzes, das die Bestechung von ausländischen Amtsträgern bestraft. Der Konzern musste nicht nur eine rekordverdächtige Strafe von 800 Millionen Dollar in den USA zahlen.

Stunde Null für Compliance in Deutschland

Er verpflichtete sich auch, über Jahre eng mit den amerikanischen Behörden zusammenzuarbeiten, um Kontrollmängel zu beseitigen und ein schlagkräftiges Anti-Korruptionssystem aufzubauen. Vier Jahre stand Siemens bei der SEC unter Beobachtung. An diesem Samstag läuft das “Monitoring” aus. Es hat nicht nur Siemens, sondern die gesamte deutsche Unternehmenslandschaft umgepflügt.

“Der Fall Siemens war die Stunde Null für Compliance in Deutschland”, sagt Experte Hanns-Joachim Marschdorf. Compliance ist inzwischen ein Modebegriff. Er bedeutet so etwas wie die Einhaltung von Regeln.

Die SEC und auch das amerikanische Justizministerium haben es geschafft, das Thema in die deutschen Führungsetagen zu hieven. Kein Vorstand kann sich heute mehr wegducken und auf mangelnde Informiertheit berufen. Doch sind die großen deutschen Konzerne nun wirklich weniger korruptionsanfällig? Haben es die amerikanischen Behörden mit ihrem Regelungseifer für Weihnachtsgeschenke und Geschäftsessen übertrieben?

Siemens-Mann Hartwig reiste seit 2007 Dutzende Male in die USA, um sich mit Vertretern der US-Behörden zu treffen. Über Jahre hatte Siemens ein System schwarzer Kassen unterhalten, durch die 1,3 Milliarden Euro flossen. Zwar leitete die Ermittlungen gegen Siemens die Münchner Staatsanwaltschaft ein.

Theo Waigel war der Monitor

Aber da Siemens in den USA börsennotiert war und dort Geschäft hat, konnte auch die SEC die Münchner belangen. “Das Muster der Bestechung durch Siemens war beispiellos in Umfang und geografischer Ausbreitung”, so die Behörde.

Die Behörden haben probate Mittel, um ausländische Konzerne zur Kooperation zu zwingen. So bestand bei Siemens die Gefahr, von öffentlichen Aufträgen in den USA ausgeschlossen zu werden. Das hätte Siemens bis ins Mark getroffen.

Denn die USA sind der weltweit größte Markt für Siemens. Die Vereinbarung mit den US-Behörden sorgte laut Siemens-Rechtsvorstand Peter Solmssen unter anderem für eines: “Wir sind ein zuverlässiger Bieter für die öffentliche Hand geblieben.”

Die Sittenwächter-Rolle beim Münchner Konzern hatte Theo Waigel inne. Der frühere Finanzminister wurde als erster Ausländer von der SEC und dem US-Justizministerium als Monitor akzeptiert. Er bereiste Siemens-Niederlassungen in aller Welt, wühlte sich mit seinen Mitarbeitern durch 50.000 Blatt Papier, führte 1500 Gespräche und sprach Empfehlungen aus, wie die Anti-Korruptionsabteilung schlagfertiger wird.

Hohe Sensibilität für Korruption

All seine Anregungen seien auch umgesetzt worden, sagte Waigel zum Abschied vor einigen Wochen. Hatte er im ersten Jahr noch 114 Empfehlungen ausgesprochen, seien es zuletzt nur neun gewesen. “Integres Verhalten ist zu einem integralen Bestandteil der Unternehmenskultur geworden”, so sein Fazit.

Dabei lief nicht alles glatt während Waigels Aufsicht. Der Brasilien-Chef musste wegen einer Schmiergeldaffäre gehen. Und in Kuwait wollten Siemensianer ein Geschäft mit Hilfe von Bestechungsgeldern abschließen. Waigel teilte die Fälle umgehend der SEC mit. Doch das Entsetzen dort hielt sich in Grenzen. “Wenn ihr bei euren 400.000 Mitarbeitern nicht mehr hättet, würden wir euch nicht glauben”, habe man ihm gesagt, so Waigel. Rund 600 Mitarbeiter arbeiten bei Siemens inzwischen in der Compliance.

“Der Fall Siemens hat eine enorm hohe Sensibilität für Korruption geschaffen und zu einem Paradigmenwechsel in der deutschen Unternehmenslandschaft geführt”, sagt Andreas Pohlmann, früherer Chief-Compliance-Officer bei Siemens und heute Inhaber einer Compliance-Beratungsagentur.

Viele große Konzerne haben große Compliance-Abteilungen aufgebaut, selbst Mittelständler legen Wert auf den Kampf gegen Korruption. Eine ganze Compliance-Beraterzunft ist entstanden. Es gibt Compliance-Kongresse, eine Ausbildung zum Compliance-Beauftragten, Ende November gründeten Unternehmen das “Deutsche Compliance Institut”, um Wissen auszutauschen und Standards zu setzen.

Fragwürdige Methoden

“Wir brauchen immer wieder solche Erdbeben wie die Korruptionsfälle bei Siemens, Daimler und ThyssenKrupp”, sagt Anti-Korruptionsexpertin Birgit Galley von der Steinbeis-Hochschule in Berlin. “Sie lenken die Aufmerksamkeit auf den Kampf gegen Korruption.”

Zudem hat es die SEC geschafft, dass das Thema Compliance nicht mehr in eine stille Ecke abgeschoben wird, sagt Peter von Blomberg, stellvertretender Vorsitzender von Transparency International Deutschland. “Die neuen Systeme sind wirksam. Die Wahrscheinlichkeit von neuen Korruptionsfällen ist gesunken.”

Auch, weil die Unternehmen heute hart durchgreifen. Ungemütlich wurde es kürzlich für einen Daimler-Manager. Ernst L., der früher das US-Geschäft verantwortete, wurde fristlos gekündigt, weil er die Dienstvilla allzu aufwendig umgebaut hatte. L. stolperte letztlich über die Veränderungen durch das “Null Toleranz-Programm”, das die SEC bei Daimler bewirkt hatte. “Die SEC hat die Unternehmen vor sich hergetrieben”, sagt von Blomberg.

Die US-Börsenaufsicht hat sich den Respekt allerdings auch mit Methoden verdient, die nicht alle gutheißen. Zwar waren nie SEC-Vertreter selbst am Wittelsbacherplatz in München zugegen. Die Siemens-Dokumente wälzten dafür andere, neben den Staatsanwälten auch Profis der US-Kanzlei Debevoise & Plimpton. Noch heute erinnert sich so mancher Siemensianer an knallharte Verhöre durch die Anwälte und das Filzen von Mails. Und manch einer stellte sich die Frage, ob das alles noch mit der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland vereinbar sei.

Auch bei Daimler lief die Zusammenarbeit mit den US-Behörden keineswegs reibungslos. Zwischen 1998 und Januar 2008 beförderten sie den Verkauf von Fahrzeugen durch Schmiergelder. 2010 wurde Daimler in den USA zu 185 Millionen Dollar Strafe verurteilt. Wie Siemens verpflichtete sich der Autobauer, neue Compliance-Strukturen aufzubauen. Unter Aufsicht des ehemaligen FBI-Direktors Louis Freeh.

“Viele trauen sich nicht mal mehr legale Sachen”

Erst im kommenden März endet Freehs Mandat, wegen des laufenden Verfahrens will sich der Konzern nicht groß äußern. Man habe aus den Vorgängen der Vergangenheit viel gelernt, teilt das Unternehmen mit. “Das Ergebnis ist eine Compliance-Organisation, für die uns unser Compliance-Monitor Freeh seine Anerkennung ausgesprochen hat. Mit Freeh arbeiten wir ebenfalls gut und vertrauensvoll zusammen.”

Aus dem Unternehmen sind allerdings auch andere Stimmen zu hören. Anfangs habe Freeh es mit seiner Regelungswut übertrieben und die Geschäfte zum Teil lahmgelegt. “Sein Ansatz war sehr formalistisch. Viele Mitarbeiter trauen sich nicht mal mehr legale Sachen”, sagt ein früherer Daimler-Manager. Freeh stellte anfangs Daimler kein gutes Zeugnis aus und zweifelte an, ob das Compliance-System in Krisensituationen funktioniere.

Der Autobauer besserte nach. Der Konzern schuf sogar ein eigenes Vorstandsressort für “Integrität und Recht” und besetzte es mit der Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt. Seit ihrer Berufung soll sich die Zusammenarbeit mit Freeh deutlich verbessert haben. Die Richterin schnitt viele Regelungen wieder zurück.

Der Monitor kommt erst nach dem Betrugsfall

Aus 1800 wurden 2000 Regeln, dann wurden sie durchforstet, bis 700 übrig blieben. Für einen einzelnen Mitarbeiter sind jeweils 40 bis 50 Regeln relevant. Daimler will nun stärker darauf setzen, was das Unternehmen grundsätzlich für vertretbar hält. “Legitimation statt Legalität”, laute das neue Motto , sagt von Blomberg. “Insgesamt hatte es Siemens mit Waigel leichter als Daimler mit Freeh”, so der Experte.

Der Nachteil eines “Monitors” ist, dass er immer erst dann zum Einsatz kommt, wenn es schon einen großen Betrugsfall gegeben hat. “Sinnvoller wäre es, wenn Monitore präventiv wirken könnten, um Compliance-Strukturen in Unternehmen aufzubauen und auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen”, sagt Anti-Korruptionsexpertin Galley.

Siemens-Rechtsvorstand Solmssen sieht durch die neuen Compliance-Strukturen bei Siemens sogar unverhoffte Vorteile: Die Kontrollen und Instrumente stünden zwar oft in dem Ruf, das Geschäft zu behindern. “Tatsächlich ist dies nicht der Fall. Oft werden diese sogar über ihren eigentlichen Zweck hinaus von den Kaufleuten zur Kostenkontrolle genutzt”, so Solmssen.

Korruption ist kein Kavaliersdelikt

Er und auch Hohmann-Dennhardt sitzen jeweils im Topmanagement ihrer Unternehmen. Waigel beschreibt das mit dem “Tone from the Top”, also dem Ton, den die da oben vorgeben. Wenn die Chefetage den Eindruck vermittelt, Korruption sei ein Kavaliersdelikt, werden die Kollegen im Einkauf oder Vertrieb das auch so für sich auslegen.

Haben die US-Behörden die Unternehmenskultur in Deutschland also verändert? “Die amerikanischen Behörden sind natürlich einflussreich, aber es war nicht so, dass nun das gesamte Compliance-Wesen bei Siemens auf einer Blaupause der SEC beruht”, sagt Siemens-Jurist Hartwig. Doch es gab durchaus starke Einflüsse aus den USA. So entwickelt sich der sogenannte amerikanische Coso-Ansatz zu Beurteilung ethischen Handelns in Unternehmen mittlerweile auch in Europa zum Standard für Wirtschaftsprüfer.

Galley hält es für einen Vorteil der US-Behörden, dass die schneller bei Fällen reagieren. “Sie sind rascher mit ihren Sanktionen, und es wird gewöhnlich teurer.” Allerdings hätten sich auch die deutschen Behörden wie etwa die Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität besser aufgestellt. Die kommen allerdings mit einigen wenigen Großverfahren schon an ihre Kapazitätsgrenzen.

“Nun geht es um Nachhaltigkeit”

Nach der Installierung der Anti-Korruptions-Systeme tritt Compliance nun in neue Phase ein, sagt Berater Pohlmann. Er nennt sie “Compliance 2.0”. “Nun geht es um Nachhaltigkeit. Die Führungsriege eines Unternehmens muss eine Vorbildfunktion ausfüllen und mit den Mitarbeitern über Unternehmenswerte sprechen.” Dass es hier noch einiges zu tun gibt, zeigte jüngst der Fall ThyssenKrupp. Dort stürzte ausgerechnet der für Compliance zuständige Vorstand, weil er allzu luxuriös verreiste.

Von ,Jens Hartmann, http://www.welt.de/